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8. Mai 2008 4 08 /05 /Mai /2008 10:04

Vor 23 Jahren wurde ich in einem Armenviertel "Tumacos" geboren. Wir leben ein wenig besser, als die Menschen, die nur einige Meter weiter ihre Häuser auf Pfählen ins Meer bauten. Bis heute haben wir jedoch kein fließend Wasser und kein Klo. Das Wasser ist viel zu teuer, so graben wir uns im Viertel abwechselnd vor den Häusern etwa 2 Meter tiefe Löcher, um so an die Wasserleitungen der Stadt zu kommen. Natürlich weiß dies die "Wasserversorgung" der Stadt, die trauen sich jedoch nicht ins Viertel rein, die könnten eh nichts machen, die Leitungen sind nun mal verlegt.

 

Das Löcher graben und Wasser schleppen ist hauptsächlich Sache der Kinder und Jugendlichen. Bis z.B. bei uns zu Hause das Petroleumfass, hinterm Haus voll ist, vergehen einige Stunden und meist muss es täglich zweimal aufgefüllt werden. Sich duschen, abwaschen, das Saubermachen und kochen für mindestens 6 Personen täglich braucht trotz aller Sparsamkeit sehr viel Wasser. So ist also dieses Petroleumfass unsere Wasserreserve und gleichzeitig Dusche, indem wir uns daneben stellen  und aus einem Plastikeimer Wasser über uns schütten.

 

Strom haben wir im Viertel seit langer Zeit, doch es vergeht kaum ein Tag wo es nicht im ganzen Viertel über Stunden einfach gesperrt wird, wir haben uns daran gewöhnt, dass wir abends zwischen ca. 20 Uhr und 22 Uhr nie Strom haben. Muss die Stadt Strom sparen, dann macht sie dies auf unsere Kosten und schaltet einfach die Leitungen ab, während in den Fabriken der Reichen und Ausländer und ihren Wohnvierteln die Energie verschwendet wird. Dies war immer so und nicht erst seit der landesweiten Rationalisierung der Energie.

 

In der hintersten Ecke unseres kleinen Grundstückes haben wir uns eine tiefe, große Grube gebaut die als Klo dient und alle paar Jahre ausgepumpt wird. Damit man ein wenig Sichtschutz hat, haben wir sie mit Wellblech eingefasst und gegen den Geruch ist ein schwerer Blechdeckel zum Abdecken auf dem Loch. Unangenehm ist es nur wenn es stark regnet, denn da ist unser Grundstück, welches wie der größte Teil unserer Vierteln auf Meersand ist, ein einziger Matsch.

 

In den letzten 10 Jahren haben wir nach und nach alle Holzaußenwände des Hauses durch Beton oder Ziegelsteine ersetzt, so dass wir jetzt ein recht angenehmes Zuhause haben. Als nächstes bauen wir uns ein richtiges Klo, die Grube dazu haben wir bereits ausbetoniert.

 

Wie die meisten Männer hat auch unser Vater sehr viel getrunken und sich zuerst mal Alkohol gekauft und erst danach was zum essen für uns. Als er sich zu Tode gesoffen hatte, ging unsere Mutter nach Cali Arbeit suchen. In Tumaco gibt es viel zu wenig Arbeit, und wenn, dann ist sie schlecht bezahlt.

 

Da die Mutter nicht wusste wie und wo sie Arbeit finden würde in dieser Großstadt, ließ sie uns Kinder in Tumaco zurück, unsere Tanten haben uns hauptsächlich erzogen. Die Mutter konnte uns nicht nach Cali nachkommen lassen, weil sie mit ihrer kranken und alten Mutter mehr als genug zu tun hatte und ihr Einkommen nicht auch noch dafür ausreichte uns Kinder durchzufüttern und die Schule zu bezahlen.

 

Cali ist zwar eine Industriestadt, doch die Hoffnungen unserer Mutter erfüllten sich nicht in dem Maße wie sie es sich erträumte. Sicher, sie hat nun ihr geregeltes Einkommen, ihren festen Arbeitsplatz, doch statt in den Slums in Tumaco, lebt sie nun in den Slums von Cali, und die sind nicht viel anders, in Cali hat man es jedoch leichter um Arbeit zu finden.

 

In "Tumaco" ist alles ein bisschen schwieriger, so dass ich nur eine sehr minimale Schulbildung hatte und schon sehr früh mitarbeiten musste. Zum Glück ist eine meiner Tanten Lehrerin und ich konnte nebenbei viel lernen wenn meine Tante Zeit hatte.

 

Ich arbeitete den ganzen Tag wie eine Verrückte in einer Fischfabrik. Ich putzte, schälte, verpackte das Zeugs, das hauptsächlich exportiert wurde. Verrückt, da stehe ich mit Hunger im Bauch an meinem Arbeitsplatz und verpacke Meeresfrüchte, Thunfisch etc. für das Ausland. Wie meist üblich in Tumaco, ist der Besitzer dieser Fabrik ein "gringo" der irgendwo in den Staaten lebt, der sich durch unsere Plackerei eine goldene Nase verdient und sein Oberaufseher ist natürlich auch ein Weißer, ein ganz schlimmer, der machte mit uns Mädchen und Frauen was er wollte, wir waren für ihn der letzte Dreck.

 

Die Arbeitsbedingungen waren sehr schlimm, doch was willst Du machen, wenn vor der Türe Hunderte auf Deinen Arbeitslatz warten und den du mit Sicherheit verlierst, wenn du nur’s Maul aufmachst? Wir arbeiteten Täglich von 6 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags 10 Stunden ohne Pause, ohne essen und verdienten je nach Akkordleistung wöchentlich höchsten um die 7000.- col$ bis 10 000.- col$! Ein Gehalt, womit Du unmöglich leben kannst, doch wir arbeiten dafür, denn lieber schlecht bezahlte Arbeit als nur herumsitzen und nichts zu tun haben. Dieses "keine Arbeit" haben ist schlimm, ist schlimmer als schlecht bezahlte Arbeit haben, denn dies macht Dich im Laufe der Jahre aggressiv und deprimiert. Aus diesem Grunde wird so viel gesoffen und Rauschgift konsumiert. Viele der Frauen und Mädchen die unter solchen schlechten Bedingungen arbeiten müssen, gehen nebenbei der Prostitution nach, damit ihre Familien überleben können und natürlich macht auch dies aggressiv und die Scham darüber wird mit Alkohol und Basuco verdeckt.

 

Als ich vor 3 Jahren schwanger wurde, stellte sich heraus, dass der Mann in den ich verliebt war nur mit mir gespielt hatte, wohl weil ich noch so jung war. Er war bereits verheiratet und hatte Kinder. Ich war wohl nicht das erste und letzte junge Mädchen, welches dieser Tankstellenbesitzer hinterging.

 

Um dieses bittere Erlebnis besser überwinden zu können und weil es für mich klar war, dass mich in "Tumaco" nur eine schwierige Zukunft mit noch mehr Hunger erwarten würde, wenn mein Kind erst mal geboren war, ging ich zu meiner Mutter nach Cali, die mit ihrem neuen Lebensgefährten im "Distrito Aguablanca" lebt und erhoffte mir, da bessere Bedingungen vorzufinden.

 

Die Zeit wurde recht hart, ich bekam Zwillinge und lebte mit meiner Mutter, meiner jüngeren Schwester und zwei älteren Brüdern von dem kleinen Gehalt was die Mutter nach Hause brachte und was wir anderen Familienmitglieder so ab und zu dazu verdienen konnten. Der Lebensgefährte meiner Mutter arbeitet nichts, führt sich auf, als wäre er der große Herr. Meine Mutter gibt ihm immer Geld und auch von uns versucht er immer etwas zu bekommen. Der hat sich sogar erlaubt, mal an meinem  Arbeitsplatz vorbeizugehen und zu fragen ob sie mir das Gehalt schon ausgezahlt haben.

 

Ich fand Arbeit als "Arztgehilfin" in einem Projekt eines deutschen Padres ebenfalls im "Distrito". Doch von den ärmlichen 40 000.- col$ monatlich, die ich dort als "Angelernte" bei 5 Tagen Arbeit die Woche verdiene, kann man auch keine großen Sprünge machen, d.h., eigentlich kann ich davon gar nicht leben. Während ich über Weihnachten, erstmals wieder nach drei Jahren, meine restliche Familie in Tumaco besuchen ging, hat der Padre mich und sieben andere Mädchen entlassen. Nun suche ich eine Arbeit, die besser bezahlt ist und wo ich genügend Zeit für die Schule habe, ich möchte auch gerne wieder meine beiden Söhne bei mir haben.

 

Da ich abends nach der Arbeit das "Bachillerato" nachmache, musste ich bereits vor längerer Zeit einen meiner Söhne zurück zu meinen Tanten nach Tumaco geben und nun ist seit Weihnachten auch mein zweiter Sohn dort. Ich schaffe es einfach nicht, morgens um 5 Uhr aufzustehen, alles für die Kinder zu richten, diese in den Hort zu bringen, dann bis 6 Uhr abends arbeiten und danach ohne Pause gleich in die Schule bis 9.30 Uhr abends. Ich hatte nicht selten einen 16 Std. Tag und habe dies einfach nicht mehr durchhalten können.

 

Mein "Bachillerato" ist mir jedoch sehr wichtig, ich will etwas ordentliches studieren, ich bin ja erst 23 Jahre alt. Was ich studieren möchte weiß ich noch nicht genau, etwas, wo ich den Menschen helfen kann, etwas Soziales. Doch ob dies klappt steht noch nicht fest, denn die Universität kostet gemessen an unseren Lebensbedingungen, viel zu viel Geld und ich weiß nicht, ob meine Familie hier in Cali und in Tumaco dies wird finanzieren können.

 

Ich möchte nie so leben müssen wie einige meiner Freundinnen. "Vicky" z.B. lebt nun im Zentrum an der Cra. 10, da, wo gleich die "olla" anfängt. Sie hatte Glück und kann umsonst in der Wohnung eines älteren Herrn leben, sie muss dann einfach ab und zu mit ihm schlafen und hat ansonsten ihren Freiraum. Früher war sie jahrelang bei irgendeiner älteren Frau Dienstmädchen und die hat sie behandelt wie der letzte Dreck, hat einfach ihre schlechte Laune an "Vicky" ausgelebt. Kam sie mal unverschuldet zu spät, wurde sie klein gemacht und musste ohne Bezahlung wieder gehen. Ein Tag ohne bezahlte Arbeit bedeutet bei diesen Hungerlöhnen ein Tag ohne was zu essen. Als die Alte sie dann des Diebstahls bezichtigte, weil sie in ihrem Durcheinander etwas nicht finden konnte, hatte meine Freundin genug und ging. Nun schlägt sie sich mit Gelegenheitsarbeiten rum wie nähen, Pedicure etc. und am Wochenende ist sie als Tänzerin bei einem "Salsa-Orchester" engagiert. "Vicky" ist eine sehr schöne Frau und so hat sie keine Mühe, dass Männer sie abends zum Essen oder in die Diskothek ausführen. Doch da auch sie "schwarz" ist, ist sie für die "weißen" Männer vorwiegend nur Lustobjekt.

 

Viele von uns Armen verlassen, außer zur Arbeit, fast nie den  "Distrito" und das Zentrum der Stadt ist für uns etwas Fremdes, weit entferntes. Mit unseren Gehältern könnten wir niemals in den Geschäften des Zentrums etwas zum anziehen kaufen, oder uns in ein Lokal setzen um eine Cola zu trinken, ein Eis essen gehen wovon zwei Kugeln bereits 1 000.- col$ kosten. Im Zentrum, da ist alles so ganz anders, da gibt es so viel Luxus, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass bei und draußen so viel Armut und Elend herrscht.

 

Doch ich fühle mich wohler und freier bei uns draußen, ein Großteil der Leute im Zentrum, elegant angezogen, und die uns verachtend angucken erinnern mich an ein Lied von Ruben Blades, es heißt "Plastico", ich singe es Dir "mono":

 

Ella era una chica plastica / De esas que veo por ahi,

De esas que cuando se agitan / Sudan Chanel "number three".

Que sueña casarse con un doctor / Pues el puede mantenerlas mejor.

No le hablan an nadie si no es su igual, / A menos que sea fulano de tal.

Son lindas, delgadas, de buen vestir, / De mirada esquiva y falso reir.

 

El era un muchacho plastico / De esos que veo por ahi,

Con la peinilla en la mano / Y cara de yo no fui.

De los que por tema en conversacion / Discuten que marca de carro es mejor.

De los pue prefieren el no comer / Por las apariencias que hay aue tener

Pa andar elegantes y asi poder... / Una chica plastica recoger. !Que fallo!

 

Era una pareja plastica / De esas que veo por ahi.

El pensando solo en dinero, / Ella en la moda en Paris.

Aparentando lo que no son, / Viviendo en un mundo de pura ilusion.

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Über Diesen Blog

  • : Biographisches und andere Geschichten
  • : Es geht um das Leben einer Mutter aus den Slums. Erlebtes in Südamerika und hier. Um Gedanken und Gefühle. Um Wut und Liebe - kurz - es geht um das Leben.
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  • Wili Tell
  • Habe gelebt - intensiv - und habe vor dies weiter zu tun.

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